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Restaurant Klinker

Wie kann man in diesen Zeiten jemanden umarmen, wenn einem danach ist? Claudia Steinbauer aus dem Restaurant Klinker, hörst du mich? Komm in meinen Garten, wenn du mit den Bienen fertig bist. Ich mach uns einen Gin Tonic...

 

Liebes Fräulein Schmidt,

diesen Brief schreibe ich mit dem Mittelfinger der linken Hand, der Zeigefinger ist bis zum Handgelenk geschwollen - Bienen nehmen jede Unaufmerksamkeit übel, und das zu Recht.

Weisst Du noch, wie wir uns kennenlernten? In diesem herrlichen Klinker? Vielen Dank für Dein Geschenk damals; damals im Sinne von Zeiten, in denen unser grösstes Problem im Laden war, dass wir zu wenig Platz für die vielen Gäste hatten und mitunter vielleicht noch, dass die Musik zu laut war. Oder der Soundtrack der Eisprinzessin. Willst Du einen Schneemann bauen? Geschenk(t).

Es war Leben, Schreiben, Atmen von Doris Dörrie mit einer so liebevollen Widmung von Dir, und dabei kannten wir uns gar nicht. Und vielleicht ist es das, was mir am meisten fehlt: Die Innigkeit der Begegnungen, die kleinen Augenblicke des Sich Erkennens, die Gesten der gegenseitigen Wertschätzung, die glücklichen Gesichter diesseits und jenseits der Bar und der Küche, die leeren Teller und Gläser, die abgebrannten Kerzen, die Zigarette danach und das Aufräumen sowieso; nochmal reden, nochmal schwatzen, nochmal verwundert den Dialog an Tisch 6 wiedergeben, sinnieren, ob Tisch 20 glücklich war; Andres damit aufziehen, dass er so nuschelt, dass jemand von uns nochmal von Tisch zu Tisch hopsen darf, um die sieben Tagesspecials aufzuzählen; mit einem Glas Wein den seltsamen Augenblick an der Tür endlich schlucken, ihn mit einem zweiten final zur Anekdote machen - Licht aus, die jungen Leute fahren ins Molotow, und ich hab´s eh nur 20 Stufen hoch in meine Wohnung. 

Leben und Atmen funktionieren noch immer gut; das Schreiben ist gerade mühsam: Zu viele Gedanken, zu viel, was nicht stimmt. Erinnerungen an dieses diffuse Ostgefühl von: Wir wissen, dass es so nicht weiter geht, wissen aber nicht, wie ´s gehen könnte (Gerhard Gundermann). 

Du wolltest von mir Vorfreude auf danach und unsere Gedanken dazu und dieses "unsere" kommt, weil der Brief nicht zur Grundlage hat, dass wir seit 20 Jahren befreundet sind; sondern dass wir Klinkers drei sind, wenn nicht gar fünf. Oder 13. 

Wir sind 13.

Und ich, ich weiss es nicht, Liebes, ich habe keine Antworten, und dieser Satz lässt den Kopf gelesen mehr hängen, als wenn ich ihn in Dein kluges Gesicht sagte.

Für mich ist diese Zeit Zäsur, privat, beruflich, politisch, wertig, gastronomisch. Von aussen gesehen machen wir als Klinker gerade gar nichts: Wir helfen aufm Hof von Marianus´ Eltern, manchmal treffen wir uns, ich versorge die Bienen in Berlin; es ist, als würde das Ausweichen der Menschen auf der Strasse auch im Kopf vor den eigenen Gedanken stattfinden; ein bisschen Watte, ein bisschen Maske, ein bisschen Vorwurf.

Dabei gäbe es so viele Fragen, so viele Gründe für Diskurs, so viel Raum für Gemeinschaft, aber noch, weiss ich nicht, wohin; zumindest wir Klinkers tapern gerade jeder im eigenen Küstennebel. Haha.

Operativ bauen wir uns den worstcase von einem angenommenen Jahr social distancing. Oder zwei? Gehen wir baulich damit um? Oder mathematisch? Oder radikal politisch, indem wir einfach sagen: Wir kommen erst wieder, wenn wir das machen dürfen, was wir können: nämlich Schnaps & Amore? Wo das radikal politische in der Verweigerung ist? Ich weiss es nicht. Vermutlich nirgends. Ich als der Verfechterin von Kneipen als kleiner revolutionaerer Zellen sollte vlt eh langsam wieder in Sichtbarkeit fuers Klinker denken. 

Vielleicht sind wir ab Donnerstag wenigstens wieder da. Die neue Karte testen mit Gästen. Schlimmer Reim - ich lass ihn trotzdem stehen. Zwei Stunden, drei Tage, 100 Portionen. 

Kein Plastik. Natürlich nicht. How dare you, by the way.

Aaron, Marianus und ich. Gesichter zeigen. Nachbarschaftskochen. Mut zulächeln. Auch uns.

Und übrigens bereit für jeden Diskurs. Habt Ihr die Sachen im foodtalker Podcast so gemeint und warum? Was helfen uns 7 Prozent Mwst, wenn gar kein Umsatz Mehrwert generiert? 
Und dann auf Speisen? Wer entscheidet, was was ist? Und wann? 

Apropos: Warum fusst diese Branche auf der Zahlung und Verteilung von Trinkgeldern? Woher kommt die Beute? Wie werden Gäste in Zukunft konsumieren? Und was? Zeigt die makabre, zynische Wahl, lieber rumänische Spargelhelfer einzufliegen statt Flüchtlinge, statt Kinder aus Moira, dass nicht nur unsere Werte nicht stimmen und einfach assimiliert werden an neue Normalitäten sondern auch, dass kein einziger Preis mehr nachvollziehbar ist? Für nichts und niemand, wie Konstantin Wecker sagen würde?

Und im ganz Kleinen: Was macht die Angst da draussen mit all der Innigkeit, wenn Worte sie nicht können? 

Und ganz generell so: Brauchen wir diese militaristischen Strukturen, die es noch immer gibt in Hotellerie und Gastronomie, und wo ist der Weg hin in die Veränderung? Wer gibt uns das Mandat? Braucht es eins? Und wenn nein: Wohin gehen wir? Und wie finden wir uns? 

Gesellschaftliche Veränderungen ohne Kneipengemeinschaft - can we talk? 

Unsere Branche bricht nicht nur auseinander, because the storm is coming. Sondern weil es sowieso brüchig, rissig und fragil war. Wir sind nicht wehrhaft. Unendliche Auflagen, wenig Methodik, jeder VWler verzweifelt an der Marge, weil es keine gibt. Und weil Skalierbarkeit die Seele frisst, die offensichtlich aber dann eben doch der Resonanzboden ist, zumindest von dem, wie wir Gastronomie meinen. Machtmissbrauch auf allen Seiten bis in die kleinste Struktur, Selbstausbeutung und spätestens damit legitimiert auch die der anderen, Herablassung von Gästen und straight back to them - es knirscht in jedem Gebälk anders, es gibt wie überall Blender und Gewinnler, das ist völlig in Ordnung und die Orientierung gibt mir immerzu die Frage an uns alle: 

Stell Dir vor, jeder leere Stuhl bekäme ein Plakat. Was stünde auf Deinem?

Die fetten Jahre sind vorbei.

Sehen wir uns am Donnerstag? Ab 17 Uhr gibt es was im Pappkarton.

Deine Claudia

www.restaurant-klinker.de

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